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Zu früh im Müll - wegen Pillenhersteller

Jedes Jahr landen Millionen abgelaufene Tabletten im Abfallkübel. Viele davon sind noch wirksam. Experten fordern verlängerte Fristen - zu Gunsten der Portemonnaies der Patienten.

Seit Stunden plagt einen das Kopfweh. Schliesslich hält man es nicht mehr aus und greift zum Schmerzmittel. Doch ein Blick auf die Packung zeigt: Das unter «Exp»* aufgedruckte Verfalldatum ist schon seit über zwei Jahren vorbei. Nützen die Pillen noch? Geht man gar ein Risiko ein, wenn man sie trotzdem nimmt?

Nein, sagen Experten. Etzel Gysling, Arzt und Medikamentenkritiker, sagt: «Die allermeisten Medikamente kann man problemlos weit über das Verfalldatum hinaus verwenden.» Eine Gefahr bestehe nur in ganz wenigen Fällen, etwa bei einigen Antibiotika.

Und die nötigen Wirkstoffe seien auch Jahre nach dem Ablaufdatum noch da. Dies zeigt auch eine Pulstipp-Stichprobe mit drei abgelaufenen Medikamenten. Alle drei stammen aus Hausapotheken, wurden also nicht speziell sorgfältig gelagert. Und alle sind Tabletten mit 500 Milligramm (mg) Paracetamol. Der Wirkstoff lindert Schmerzen und senkt Fieber. Die Resultate des Labors sind erstaunlich:
- Panadol, seit drei Monaten abgelaufen: Es enthält 509 mg Paracetamol pro Tablette.
- Panadol, während einer Reise in Australien gekauft, seit zwei Jahren und fünf Monaten abgelaufen: 506 mg pro Tablette.
- Dafalgan, seit zweieinhalb Jahren abgelaufen: Der Paracetamol-Gehalt beträgt 503 mg pro Tablette.
Der Gehalt an Paracetamol hat sich also über die Jahre nicht verändert. Markus Fritz, Apotheker und Leiter der Schweizerischen Medikamenten-Informationsstelle: «In einer Tablette muss durchschnittlich 500 mg Paracetamol enthalten sein. Innerhalb von festgelegten Grenzen sind aber Abweichungen erlaubt.»

Dass die Pillen kaum von ihrem Wirkstoff verloren haben, erstaunt Fritz nicht: «Paracetamol ist bekannt dafür, dass es sehr stabil ist.» Noch vor 20 Jahren habe es deshalb Paracetamol-Mittel gegeben, die zehn Jahre lang haltbar gewesen waren.

Heute beträgt die Haltbarkeitsfrist von Paracetamol maximal fünf Jahre, bei manchen Herstellern sogar nur drei Jahre. Die kurze Frist begründet Hans Ulrich Gally von der Heilmittelbehörde Swissmedic mit internationalen Richtlinien. Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, gebe es heute weltweit keine Medikamente, die offiziell länger als fünf Jahre haltbar seien.

Die Haltbarkeitsfristen werden von den Herstellern vorgeschlagen. Gally: «Mit Tests müssen sie beweisen, dass das Medikament innert dieser Frist wirksam und sicher ist.» Belegen die Tests die Haltbarkeit, bewilligt Swissmedic die Frist. Mit anderen Worten: Ob die Medikamente länger haltbar wären, als die Pharmafirmen angeben, prüft niemand.

Dass die Hersteller solche Tests nicht freiwillig machen, liegt auf der Hand: Sie verdienen, wenn die Konsumenten abgelaufene Medikamente wegwerfen und neue kaufen. Markus Fritz fordert deshalb, dass die Behörden von den Firmen die Tests verlangen.

Er ist überzeugt, dass dies Gesundheitskosten sparen würde. Denn laut einer Schätzung des Krankenkassenverbandes Santésuisse landen jedes Jahr Medikamente im Wert von gegen 500 Millionen Franken im Abfall.

Der Pharmaverband Interpharma sagt dazu: «Es geht hier um die Sicherheit der Patienten. Zudem genehmigen die Behörden die Fristen.» Auch Dafalgan-Hersteller UPSA beruft sich auf Swissmedic, während Panadol-Hersteller Glaxo Smith Kline keine Stellung nimmt.

Vorschläge finden bei Swissmedic kein Gehör.

Zur Lösung des Problems schlägt Etzel Gysling einen einfachen Farbcode vor, der das letzte Verkaufsdatum auf der Medikamentenschachtel ergänzen soll:
Rot: Dieses Mittel dürfen Patienten nach Ablauf des Verkaufsdatums nicht mehr verwenden.
Gelb: Das Medikament darf man nach dem Öffnen nur während einer bestimmten Frist verwenden (zum Beispiel Hustensirup oder Augentropfen).
Grün: Wird es trocken und bei Zimmertemperatur aufbewahrt, kann das Medikament noch eine Anzahl Jahre (in der Regel drei bis fünf) nach dem letzten Verkaufsdatum verwendet werden.

Für den Experten Gysling ist klar: «Die allermeisten Medikamente würden in die grüne Kategorie fallen.»

Doch Swissmedic will von diesem Vorschlag nichts wissen. Gegen die «grüne Frist» wendet sie ein: «Über das Verfalldatum hinaus ist die Qualität des Arzneimittels nicht belegt.» Ein Argument, das Gysling nicht gelten lässt: «Als Zulassungsbehörde könnte Swissmedic von den Herstellern solche Daten verlangen.»

Trotzdem sollte man nicht wahllos abgelaufene Medikamente schlucken. Etzel Gysling hat für Patienten einfache Regeln parat: Rezeptfreie Medikamente verlieren im schlimmsten Fall ihre Wirkung, werden aber niemals giftig. «Medikamente, die einem der Arzt verschrieben hat, sollte man dagegen nicht nach einem Jahr wieder aus dem Schrank nehmen und schlucken - egal, ob sie abgelaufen sind oder nicht.»

* «Exp»: expiry date (engl.) = Verfalldatum

«Die allermeisten Medikamente kann man problemlos weit über das Verfalldatum hinaus verwenden»
Etzel Gysling, Arzt und Herausgeber der Fachzeitschrift «Pharma-Kritik»

So bewahren Sie Medikamente richtig auf

- Hitze schadet den meisten Medikamenten. Sie gehen dann vor dem Ablaufdatum kaputt. Deshalb gilt: Legen Sie Medikamente nicht an die Sonne, bewahren Sie sie kühl auf.
- Auch Feuchtigkeit kann Medikamenten schaden. Bewahren Sie sie deshalb nicht im Badezimmer auf. Selbst eine Blisterpackung schützt nicht hundertprozentig vor Feuchtigkeit. Nehmen Sie nie Medikamente, deren Blister beschädigt sind. Besonders empfindlich auf Hitze und Feuchtigkeit sind Dragées und Zäpfchen.

Christian Egg - Pulstipp

Kommentar von Dr. John van Limburg Stirum

Uns sind die Ablaufdaten vor allem von den Lebenmitteln geläufig. Wir dürfen aber unsere Vorstellung von alten, verdorbenen, verschimmelten und stinkenden Nahrungsmittel nicht auf die "abgelaufene" Arzneimittel übertragen. Wenn uns dieser psychische Zusammenhang bewusst ist, fällt es uns bestimmt weniger schwer, Arzneimittel die "verfallen" sind, noch zu gebrauchen. Im Zweifelsfalle ist jedoch der Arzt oder Apotheker zu konsultieren.

Folgend Arzneimittel sind nach Ablauf auf jeden Fall nicht mehr einzunehmen:

  • AntiBaby Pill
  • Antibiotika
  • Antiepileptika
  • Blutverdünner
  • Digoxin
  • Nitroglycerin
  • Schilddrüsenmedikamente

Meine Jugenderfahrung

Ich erinnere mich lebhaft an meine Anfangszeit als junger Arzt, als ich die Gelegenheit hatte, bei einem erfahrenen Mediziner zu hospitieren. Dieser Arzt war ein Spezialist für Beinleiden und führte täglich Venenverödungen durch. Als ich eines Tages die Ampullen näher betrachtete, war ich schockiert zu sehen, dass sie bereits seit 10 Jahren abgelaufen waren. Überrascht sprach ich den Arzt darauf an. Seine gelassene Antwort war: "Ach, das macht doch nichts. Sie funktionieren immer noch einwandfrei, und ich hatte nie Probleme hinsichtlich Verträglichkeit und Ergebnis."

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